DIE KRAFT DES „ACQUA MORA“

Einer der ersten zertifizierten Bio-Betriebe in Italien war die Fattoria La Vialla in der Toskana. Ein Gespräch mit Gianni Lo Franco über den Stellenwert der Branche und neue Entdeckungen in der Produktion.

Die Fattoria La Vialla hat sich ganz der biologisch-dynamischen Bewirtschaftung verschrieben. Wie kamen Sie dazu?

GLF: Es ist wahrscheinlich nicht die feinste Art, ein Interview mit einer Gegenfrage zu beginnen, aber ich kann trotzdem nicht widerstehen, denn ich frage mich viel eher: Woher stammt die Idee, den Boden NICHT auf natürliche Weise zu bestellen? Wie kann man glauben, dass es nachhaltig ist, Böden auszulaugen, ihnen aus Angst vor Insekten und Unkraut jegliche Art von Lebewesen zu entziehen und dann denken, dass daraus gesunde Lebensmittel hervorkommen können?
Als meine Eltern im Jahr 1978 die ersten Felder und Landhäuser von dem, was heute die Fattoria La Vialla ist, übernommen haben, stellte sich uns die Frage gar nicht, ob wir biologisch wirtschaften. Schon unsere Urgroßmutter betrieb Landwirtschaft allein mit natürlichem Dünger und folgte dem Mondkalender für den Baumschnitt und die Aussaat, ohne groß darüber nachzudenken. Der biologische Anbau war für uns also eine natürliche Gegebenheit, bevor es eine öffentliche Körperschaft gab, die dafür Zertifikate ausstellte. Wir zählten dann zu den ersten italienischen Betrieben, die 1982 die Bio-Zertifizierung erhielten.

Die Demeter-Zertifizierung kam aber erst viel später...

GLF: Ja, auch wenn der Mondkalender bereits zum Teil mit in die Arbeit einfloss, war es aber eine sehr viel aktivere Entscheidung, die biodynamische Methode auf den ganzen Betrieb anzuwenden: Ab Beginn der 1990er-Jahre haben wir verstärkt mit dieser Art von Landwirtschaft gearbeitet, die für uns als überzeugte „Naturalisten“ nicht mehr als der nächste logische Schritt war. Wir hatten nämlich mit der Zeit gesehen, dass sich Ertrag und Qualität verbessern, wenn man im Rhythmus mit der Natur arbeitet. Es sind nun über zehn Jahre, seitdem die Fattoria auch das Demeter-Zertifikat erhalten hat.

Welchen Stellenwert hat der biologische Anbau in Italien?

GLF: Er ist äußerst wichtig sowohl für die Wirtschaft als auch für die Landwirtschaft: In Europa wird Italien nur von Spanien mit seinen 1,6 Millionen Hektar biologisch bewirtschafteter Fläche übertroffen. In Italien sind es 1,2 Millionen. Im Gegensatz dazu hinkt es beim Verbrauch hinterher: Der Großteil der Produkte wird in benachbarte Länder exportiert.
Wir hoffen, uns in Zukunft Österreich anzunähern. Dort wird fast ein Drittel des Agrarlands biologisch bestellt, während es in Italien ungefähr zehn Prozent sind, auch wenn wir hier flächenmäßig mehr Hektar haben.

In Deutschland gibt es Anbauverbände, die die Produktion der landwirtschaftlichen Betriebe streng kontrollieren, gibt es in Italien Vergleichbares?

GLF: Natürlich! Vielleicht sind sie noch schlimmer als in Deutschland. Mit schlimm meine ich nicht, dass die Kontrollen nicht in Ordnung sind. Im Gegenteil, sie sind sogar mehr als notwendig. Aber leider hat man in der Vergangenheit gesehen, dass es vielen Herstellern trotz allem gelingt, die Resultate zu fälschen oder sogar die Kontrollen selbst. Ich finde es auch schade, dass es allzu viele Kontrollen gibt. Viele kleinere Bauern, die auch biologische Landwirtschaft betreiben, werden durch diesen sehr arbeitsreichen bürokratischen Aufwand abgeschreckt, den eigenen Betrieb zertifizieren zu lassen. Ich bin mir sicher, dass sowohl der Landwirt als auch der Konsument im Vorteil wären, wenn es weniger, aber dafür bessere Kontrollen gäbe.

Es ist Ihr Prinzip, in geschlossenen Kreisläufen zu arbeiten und möglichst nichts wegzuwerfen. Gelingt das überall auf der Fattoria?

GLF: Manchmal können wir es selbst nicht richtig glauben, dass es uns gelingt, ein komplettes und reichhaltiges Menü nur mit den Erzeugnissen der Fattoria zubereiten zu können. Diese große Vielfalt ermöglicht es La Vialla auch, so eigenständig wie möglich zu sein und einen geschlossenen Kreislauf auf der Fattoria zu bilden: Die Schafe geben nicht nur Milch für den Pecorino, sondern auch Dünger für die Felder und beispielsweise die Weinberge. Der Trester und die Pressrückstände der Oliven wandern auf den Kompost, der die grundlegende Nahrungsquelle für die Böden darstellt. Die Hühner schenken uns Eier für den Agrotourismus und das Gebäck, aber auch etwas Fleisch für die Gäste (und natürlich am Ende auch Mist für den Kompost).
Das Olivenöl wird bei La Vialla nicht gefiltert, sondern nur dekantiert. Der bittere Bodensatz wird nicht in Flaschen gefüllt, sondern zur natürlichen Behandlung der Rinde des Schafskäses gegen Schimmel verwendet. Die Samen der Wildkräuter und Blumen, die in den Getreidefeldern wachsen, werden ausgesiebt und später zusammen mit anderen Pflanzensorten zur Gründüngung in die Weinberge gesät. So eröffnet uns jedes neue Erzeugnis neue Möglichkeiten und Ideen und erweitert und vervollständigt den Betriebszyklus. Besonders stolz sind wir aber auf unseren Wein und das Olivenöl.

Beim Olivenöl haben Sie eine besonders interessante Entdeckung gemacht...

GLF: Die wichtigste Entdeckung war, dass das sonst unbeachtete Vegetationswasser der Oliven kein Abfall der Ölherstellung, sondern ein wertvolles, sehr gesundes Nebenprodukt ist! Das wusste unsere Urgroßmutter Caterina schon immer. Sie erzählte immerzu, wie gut ihr das Olivenwasser tat, das dunkle und bittere „acqua mora“. Wir fingen also vor einigen Jahren das Vegetationswasser auf, das in den Oliven und im Kern enthalten ist und nach dem Pressen mechanisch durch eine Zentrifuge vom Öl getrennt wird, und ließen es auf seine gesundheitsfördernden Eigenschaften untersuchen.

Was war das Ergebnis der Studie?

GLF: Dass dieses so bittere Wasser überreich an Polyphenolen ist – mehr noch als das Öl: etwa 20-fach! –, allem voran an Hydroxytyrosol. Neben der beachtlichen oxidierungshemmenden Wirkung, wie Zellschutz und Abwehr freier Radikale, haben zahlreiche Studien bestätigt, dass Polyphenole beispielsweise Herz-Kreislauferkrankungen und einigen Krebserkrankungen vorbeugen. Deshalb entschieden wir uns vor ein paar Jahren dazu, die Eigenschaften der Substanzen in unserem „acqua mora“ genauer wissenschaftlich untersuchen zu lassen. Die Studie stand unter der Leitung von Dr. Adriana Albini. Die Wissenschaftlerin ist eine international anerkannte Expertin auf dem Gebiet der Krebsforschung. Sie sollte beurteilen, ob das Zusammenspiel der im geklärten Vegetationswasser enthaltenen Polyphenole antiangiogenetische (gegen das Wachstum von Tumoren gerichtete) Eigenschaften besitzt und ob die Polyphenole als Gesamtkomplex eine größere Wirkung zeigen als das wichtigste Einzelmolekül Hydroxytyrosol.
Das Ergebnis der vierjährigen Studie war eindeutig. Oliphenolia – so haben wir unser Elixier genannt – ist ein wirksamer Komplex natürlicher Moleküle, die in ihrem Zusammenspiel weitaus wirksamer sind als das isolierte Hydroxytyrosol. Genau dasselbe lehrt auch die Biodynamik. Vor einigen Wochen wurden uns auch die internationalen Patente gewährt.

Wie vermarkten Sie nun das Heilmittel? Das ist ja jetzt eine ganz andere Sparte.

GLF: Derzeit wird es auf demselben Weg vertrieben wie die anderen Erzeugnisse, aber es wäre schön, wenn wir es eines Tages auch in Apotheken verkaufen könnten. Vorher wollen wir allerdings noch einige gesundheitsfördernde Eigenschaften durch spezifische Studien belegen, damit seine Wirksamkeit auch durch offizielle Behörden anerkannt wird. Es ist eine neue, sehr komplexe Sparte, in der die Fattoria erst noch die notwendigen Erfahrungen sammeln muss.

Die Fragen stellte Hartmut Rätsch.